04.01.2013

"Europa ist noch lange nicht über den Berg"

Westerwelle äußert sich im Interview auch zur Syrienfrage: Assad wird täglich schwächer.


"Die Welt: Blicken wir über Europa hinaus: Wird das Assad-Regime in Syrien das Jahr 2013 überstehen?

"Westerwelle: Wir dürfen nicht den Eindruck erwecken, als sei das Regime bereits überwunden. Deshalb nenne ich keinen Zeitraum. Aber soviel lässt sich sagen: Der Erosionsprozess des Regimes Assad schreitet mit zunehmender Geschwindigkeit voran. Das macht uns und vor allem den Menschen vor Ort Hoffnung, dass die Zeit Assads bald vorbei ist und unter Führung der nationalen Koalition ein Neuanfang möglich wird. Aber es muss ein Neuanfang sein, der auf Demokratie und Pluralität setzt, in dem alle Religionen im neuen Syrien Platz haben.

"Die Welt: Muss sich die Nato auf ein militärisches Eingreifen nach einem Sturz Assads vorbereiten?

"Westerwelle: Ich wende mich strikt gegen Spekulationen über eine militärische Intervention der Nato. Ich weiß mich dabei in bester Gesellschaft unserer Partner.

"Die Welt: Nicht aller Partner: Nato-Generalsekretär Rasmussen soll mit Unterstützung der USA, der Türkei und der Briten dafür plädiert haben, eine Intervention zu planen – mit Verweis auf den möglichen Einsatz von Chemiewaffen durch das Regime.

"Westerwelle: Wir haben das Regime sehr deutlich davor gewarnt haben, die vorhandenen Chemiewaffen zu nutzen. Wir haben aber keine Hinweise für konkrete Vorbereitungen.

"Die Welt: Ihr Amtsvorgänger Joschka Fischer prophezeit, dass in Syrien ein weiterer Ableger der Muslimbruderschaft die Macht übernimmt, die sunnitisch religiöse Hamas in Gaza dadurch weiter gestärkt und eine Zwei-Staaten-Lösung zwischen Israel und den Palästinensern unwahrscheinlich wird. Ein realistisches Szenario?

"Westerwelle: Man muss viele Szenarien durchdenken, aber pauschale Vorhersagen dieser Art erwecken den Eindruck einer Zwangsläufigkeit, die ich nicht teile. Revolutionen setzen eine große Eigendynamik frei. Der Sinn von aktiver Außenpolitik ist es, unsere Möglichkeiten der Einwirkung zu nutzen. Die Geschichte ist offen, in Syrien wie in anderen Ländern der Region. Niemand konnte beispielsweise in Ägypten erwarten, dass aus einer arabischen Revolution eine christdemokratische Volkspartei hervorgeht. Die Schlüsselfrage lautet: Sind die Parteien islamischer Prägung bereit, demokratische und religiöse Pluralität zu unterstützen?"